
Bei diesem Titel fragen Sie sich vielleicht: Was hat ein juristisch fundierter Vertrag mit Psychologie zu tun? Nun ja… eigentlich erstmal gar nichts. Der psychologische Arbeitsvertrag ist nämlich kein Vertrag auf einem Stück Papier. Er regelt keine Arbeitszeiten oder Entgelte. Und ich kann auch keine andere Person vor Gericht wegen Nichterfüllung oder Vertragsbruch belangen. Aber was genau kann man denn dann darunter verstehen? Ist das überhaupt ein Vertrag? Und welche Relevanz hat er für das Berufsleben? Beginnen wir doch zunächst mit dem, was wir schon kennen: dem juristischen Arbeitsvertrag.
Der klassische Arbeitsvertrag
Es folgt ein wenig Beamtendeutsch: Ein Arbeitsverhältnis wird per Arbeitsvertrag begründet, der aus juristischer Sicht zu den Dienstverhältnissen zählt und nach § 611a (1) BGB den „Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“. Im Gegenzug für seine Bemühungen erhält der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eine im Vertrag festgesetzte Vergütung.
Wissenschaftlich ausgedrückt beinhaltet der juristische Arbeitsvertrag rechtlich einforderbare Haupt- und Nebenpflichten. Dem gegenüber umfasst der psychologische Arbeitsvertrag rechtlich nicht einforderbare Erwartungen seitens Arbeitnehmer und Arbeitgeber hinsichtlich Leistungen und Gegenleistungen auf Basis subjektiv gedeuteter Versprechen.
Der psychologische Arbeitsvertrag – ein Praxisbeispiel
Okay, genug Fachsimpelei. Was konkret bedeutet das? Und warum spielt dieser psychologische Arbeitsvertrag eine zentrale Rolle im betriebsinternen Miteinander sowie bei der Leistung und Motivation der Mitarbeiter? Betrachten wir dazu folgendes Beispiel:
Im Rahmen eines Mitarbeiterjahresgesprächs wird dem Mitarbeiter eine Beförderung mit entsprechender Entgelterhöhung in näherer Zukunft in Aussicht gestellt. Zeitgleich wird es wegen der Übernahme eines Unternehmens in den USA notwendig, dass der Mitarbeiter seine Arbeitszeit aufgrund der Zeitverschiebung flexibler gestaltet. Während des Gesprächs sichert der Mitarbeiter dies ohne Einschränkungen zu.
Beide Seiten gehen zufrieden aus dem Gespräch heraus. Die Leistung des Mitarbeiters steigt in Anbetracht der anstehenden Gehaltserhöhung. Er akzeptiert auch die abendlichen Konferenz-Calls mit den Kollegen in den USA, die er zweimal pro Woche führen muss.
So vergehen einige Monate, bis der Mitarbeiter sich zu fragen beginnt, wann denn nun die versprochene Beförderung umgesetzt wird. Seit dem Gespräch hat er kein Wort mehr darüber gehört und auf vorsichtiges Nachfragen hin wurde er mehrmals vertröstet.
Er hat das Gefühl, seine Vorgesetzten halten nicht Wort. Als logische Folge sinken seine Zufriedenheit und Motivation – und damit auch seine Leistung. An den Calls nimmt er nur noch widerwillig und ohne großes Interesse teil.
Seine Vorgesetzten nehmen diese Entwicklung wahr und überdenken wohl oder übel noch einmal das Vorhaben der Beförderung. Der Mitarbeiter seinerseits beginnt, seine Zukunft im Unternehmen zu hinterfragen.

…Und was bedeutet das nun?
In diesem Beispiel wurde während des Mitarbeiterjahresgesprächs ein psychologischer Arbeitsvertrag geschlossen. In der subjektiven Wahrnehmung des Mitarbeiters interpretiert er die Zeitangabe in näherer Zukunft auf wenige Wochen. Möglicherweise hatten die Vorgesetzten jedoch eine Zeitspanne von ein bis zwei Jahren im Sinn. Auf der Gegenseite erwarten die Vorgesetzten die Bereitschaft des Mitarbeiters, ein paar seiner bislang freien Abende zugunsten der Firma aufzugeben. Flexiblere Gestaltung könnte für den Mitarbeiter hingegen bedeuten, einen Tag pro Woche bis in den Abend hinein zu arbeiten und dafür den Vormittag frei zu bekommen. Beide Seiten legen die Worte des Gegenübers subjektiv aus, interpretieren sie jedoch als objektives Versprechen.
Weder die Beförderung noch die flexiblen Arbeitszeiten können juristisch eingefordert oder rechtlich eingeklagt werden – dennoch beeinflussen diese versprechensbasierten Erwartungen nicht minder das Verhalten der Vertragsparteien.
Kennzeichnend für den psychologischen Vertrag ist also, dass er Erwartungen beinhaltet, die auf vernommenen Versprechen basieren, die rechtlich nicht eingeklagt werden können, wenn sie nicht eingehalten bzw. erfüllt werden. Von einem Vertrag ist hier deshalb die Rede, weil es sich um wechselseitige Versprechen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer handelt.
Ein Thema für das betriebliche Konfliktmanagement
Sie werden an dieser Stelle möglicherweise einwerfen, dass es sich hierbei im klassischen Sinne um einen unterdrückten Konflikt handelt, der durch entsprechendes Konfliktmanagement hätte gelöst werden können. Damit haben Sie auch vollkommen recht. Dennoch illustriert das Beispiel, welches Gewicht einem psychologischen Vertrag beigemessen werden sollte und welchen Einfluss er auf das innerbetriebliche Verhältnis nehmen kann.
Die Reaktion auf einen Vertragsbruch bzw. die Nichteinhaltung der gegebenen Versprechen kann offen oder verdeckt erfolgen. Im vorliegenden Beispiel findet die Reaktion verdeckt statt. Der Mitarbeiter resigniert, was sich in der sinkenden Leistungskurve widerspiegelt. Die Vorgesetzten nehmen den Leistungsabfall stillschweigend wahr und suchen nach einem passenderen Kandidaten für die Beförderung. In einem zugespitzten Szenario wird die gezeichnete Situation entweder in „Dienst nach Vorschrift“ oder sogar in einer Trennung des Mitarbeiters vom Unternehmen enden.
Deshalb ist der psychologische Arbeitsvertrag so wichtig
Der psychologische Arbeitsvertrag macht deutlich, dass die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Relation eine höchst sensible sozial-psychologische Austauschbeziehung ist, bei der beide Seiten kontinuierlich Versprechen aussenden und wahrnehmen – und natürlich auch stets prüfen, ob die wahrgenommenen Versprechen eingehalten werden.
Egal auf welcher Seite des Schreibtisches Sie sitzen – ob als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer: Versuchen Sie künftig, Gesprächsinhalte mit Interpretationsspielraum klar zu definieren und auch bei einem psychologischen Arbeitsvertrag alle Beteiligten ins selbe Boot zu holen.

Autor: Daniel Renner, Senior Consultant drehmoment, www.drehmoment-gmbh.de