Eisdiele, Eissorten drehmoment Blog

Was mit einem spontanen mittaglichen Ausflug in die Stadt begann, entwickelte sich sehr schnell zu einer Corona Sozialstudie, die vielleicht auch so manche Führungskraft und den einen oder anderen Personalentwickler interessieren könnte.

Raus aus der Isolation

Nach gut viereinhalb Wochen Home-Office/Home-Schooling und familiärer Isolation zog es mich gestern mal wieder in die Altstadt. Meine beiden Jungs und ich schnappten uns die Roller und wir genossen unsere Mittagszeit an der großen Treppe am Fuße der Tübinger Stiftskirche. Bevor wir den Rückweg antraten, wollten wir uns noch ein Eis gönnen und machten Halt an unserer Lieblingseisdiele. Natürlich war auch diese noch nicht wieder frei zugänglich, also warteten meine Jungs am städtischen Bach, während ich mich in die Schlange – mit jeweils eineinhalb Metern Sicherheitsabstand – einreihte.

Mein persönliches Corona Erlebnis

Am Anfang der Warteschlange war ein Pärchen gerade mit seiner Bestellung zugange. Dahinter stand eine einzelne Frau mittleren Alters. Dann kam ich. Und hinter mir stand ein Mann mit Schutzmaske.

Mein persönliches Corona Erlebnis

Als die Frau vor mir ihre Bestellung aufgab, wurden ich selbst und alle anderen Wartenden unfreiwillige Zeugen einer skurrilen Situation: Nach anfänglichem Smalltalk und der typischen „Wie gehts?“-Frage, erzählte die Kundin freimütig und fast freudig erregt, dass sie „es“ hatte. Die Eisverkäuferin runzelte die Stirn und wollte schon rückfragen, als die Kundin von sich aus ergänzte: „Ja, ich hatte Corona und mein Mann übrigens auch.“

Während alle anderen Anwesenden in diesem Moment vor Schreck erstarrten, plapperte die Kundin einfach munter weiter und erzählte, dass jetzt eigentlich alles wieder okay sei, sie aber immer noch sehr schnell müde und kraftlos werde und sich zu Hause deshalb auch ganz schnell wieder hinlegen müsse.

Mein persönliches Corona Erlebnis

Stellen wir uns für einen kurzen Moment vor, die Kundin hätte nicht von ihrer Corona Erkrankung, sondern von einer Grippe oder schweren Erkältung erzählt. Dann hätten alle Umstehenden diesen Dialog wahrscheinlich mehr oder wenig achselzuckend oder höchstens kopfschüttelnd hingenommen. Da „es“ aber Corona war, hätte diese Situation definitiv das Potenzial für eine Massenpanik geboten, wären wir in Summe nicht nur sechs Personen gewesen.

  • Das Pärchen am Anfang der Schlange: Die junge Frau kreischte und zerrte an ihrem Begleiter, um jetzt so schnell wie möglich zu gehen. Als sie wegliefen, sah ich, wie er die zwei kurz zuvor erhaltenen Portionen Eis unangerührt in die Mülltonne beförderte.
  • Die Eisverkäuferin: Sie wich unweigerlich einen Schritt zurück, zitterte unsicher das Wechselgeld aus der Münzgeldschublade, verabschiedete hektisch die Kundin und desinfizierte sofort im Anschluss ihre Hände und den Thekenbereich mit der bereitgestellten Sprühflasche.
  • Der Mann mit Maske hinter mir: Er verließ sofort seinen Platz in der Schlange. Entweder er hatte Panik oder zumindest offensichtlich keine Lust mehr auf Eis.
  • Ich selbst: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht so genau. Einerseits war ich fasziniert von der Situation. Anderseits fühlte ich mich aber ebenfalls sehr unbehaglich und irgendwie war auch mir die Lust auf Eis vergangen.
Mein persönliches Corona Erlebnis

Jedem Personalentwickler, jedem HR-Verantwortlichen, ja jeder Führungskraft sollte bei dieser Geschichte – wie sie sich gerade wahrscheinlich tausendfach in ähnlicher Weise überall auf der Welt ereignet – klar werden, dass mit der Lockerung oder Aufhebung des Lockdowns definitiv nicht alles wieder so sein wird, wie vor der Corona-Krise.

Neuinterpretation von Nähe und Distanz

Gewaltige Herausforderungen werden hier auf uns Personalentwickler zukommen, da gefestigte und in der Vergangenheit intensiv trainierte Situationen im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern so einfach nicht mehr funktionieren werden! Die Wahrnehmung und Interpretation von Nähe und Distanz, Normen und Aussagen zur Business-Etikette, kundenorientiertes Verhalten – all das muss jetzt umgehend auf den Prüfstand gestellt werden und erfordert zügig praxistaugliche Konzepte und Trainingsmaßnahmen.

Wir dürfen unsere Mitarbeiter nicht zu lange mit diesen völlig neuen Situationen alleine lassen, sondern müssen mit ihnen in einen intensiven Dialog gehen und sie trainieren. Ansonsten kann aus dem Lockdown sehr schnell ein nie für möglich gehaltener Alptraum werden.

Autor: Armin Müller
Geschäftsführer drehmoment
www.drehmoment-gmbh.de