Wer sich näher mit Software in den Bereichen Kommunikation, Kollaboration, Digital Learning, CRM und ERP beschäftigt, wird es vermutlich bereits aufgefallen sein: Viele Registrier-Schaltflächen, auf denen bisher „Start free trial“ stand, tragen nun eine andere Aufschrift: „Book free demo“.

Erfahren Sie im Folgenden, warum das ein Schritt zurück ist und ob sich dieser Trend durchsetzen wird – und inwieweit wir in einem Fall bereits selbst Gutes bewirken konnten.

Focus on the Positive

Das ist einer unserer eisernen Grundsätze. Doch das ändert nichts daran, dass hin und wieder auch Negatives angesprochen werden muss. In unseren Augen gehört dazu die Abkehr von der „Free Trial“-Culture (FTC) einer (noch kleinen) Reihe von kleinen bis mittelgroßen Softwareherstellern. Wenn man den Markt nicht ganz genau beobachtet, ist es einem vielleicht noch gar nicht aufgefallen. Doch der Culture Change ist in vollem Gange.

Wobei es sich streng genommen gar nicht um einen Culture Change handelt. Bricht man die Veränderungen nämlich auf den kleinsten Nenner herunter, wird klar, dass wir lediglich von einer neuen Sales Strategie sprechen.

Warum die neue Sales-Strategie für Software?

Software herzustellen ist ein teures Unterfangen. Ein sehr teures sogar. Hat man aber erst einmal eine Software, die gut funktioniert und beliebt bei Kunden ist, amortisiert sich der hohe anfängliche Invest meist schnell. Besonders bei den Kollaborationstools der ersten Ära (Asana, ZenDesk, Jira etc.) hat diese Investmentstrategie funktioniert, weil sie sich darauf verlassen konnten, auf dem nahezu leeren Markt eine bestehende Lücke zu schließen. Die Frage war also nicht, ob sich die hohen Entwicklungskosten auszahlen würden, sondern lediglich wann.

Sie, als aufmerksamer Leser dieses Blogs, werden das folgerichtige Problem nun sicherlich bereits erkannt haben. Sind Lücken bereits geschlossen, ist die Entwicklung von neuer, konkurrierender Software plötzlich gar nicht mehr so zukunftssicher wie noch in der ersten Generation. Ab der zweiten Generation müssen also bereits während des sukzessiven Aufbaus der Software Lizenzeinnahmen generiert werden. Doch das ist schwierig, wenn ausgereifte und somit deutlich funktionsstärkere Wettbewerber nur marginal teurer sind. So beginnt ein Teufelskreis, den man mit dem Titel „Das Leid der Kleinen“ benennen könnte.

Was würden Sie tun?

Stellen Sie sich vor, Sie wären der Head of Sales eines solchen ‚Kleinen‘. Also einer Kollaborationssoftware der zweiten oder dritten Generation, die es mit beispielsweise Asana als Platzhirsch der agilen Projektmanager aufnehmen möchte. Sie müssen jährlich 75 Millionen Euro an Lizenzeinnahmen erwirtschaften, um ihr 150-köpfiges Team und den gesamten restlichen Overhead zu finanzieren. Die Hälfte von dem, was Ihr größter Konkurrent Asana monatlich umsetzt.

Zuerst bieten Sie neben zwei bezahlten Plänen auch einen kostenlosen an. Ihre Hoffnung: User werden sich ins Tool einarbeiten und schnell bemerken, dass sie gerne auch auf Features aus den bezahlten Plänen zugreifen möchten. Nach einiger Zeit müssen Sie sich aber eingestehen, dass die Conversion Rate von unbezahlten zu bezahlten Plänen so niedrig ist, dass Sie Ihre Strategie anpassen müssen. Sie müssen die Leitplanken zur Monetarisierung noch enger setzen.

Deshalb gibt es jetzt keinen kostenlosen Plan mehr. Stattdessen bieten Sie eine kostenlose Trialphase für ihre bezahlten Pläne an. Doch auch hier schwimmen Ihnen mit einem Jahresumsatz von gerade einmal 40 Millionen Euro die Felle davon. Die Trialphasen werden einfach nicht in bezahlte Pläne überführt. Was bleibt Ihnen als Alternative?

Sie wissen, dass konkurrierende Softwares weiter entwickelt sind als Ihre Software. Deshalb bieten Sie etwas günstigere Preise an als die Konkurrenz und haben einen anderen Fokus in der strategischen Ausrichtung und dem Feature-Set Ihrer Software gewählt. Doch scheint keine dieser zwei Distinktionen attraktiv genug, um gegen die Konkurrenten und erst recht nicht gegen den Platzhirsch anzukommen.

Die logische Konsequenz eines übersättigten Software-Marktes

Sie müssen also Ihren Sales-Funnel noch enger um Prospects schnüren – Sie müssen die Leitplanken noch enger setzen. Und so kommen Sie zur Lösung, dass Interessierte erst einige Termine durchlaufen müssen, bevor sie an eine Trialphase kommen. Einige Termine, die sie tief in den Salesprozess hineinführen und sicherstellen, dass vor allem die Dinge gezeigt werden, die Ihre Software bereits gut kann. Während vielleicht einige Dinge, von denen Sie wissen, dass sie noch ausbaufähig sind, zumindest nicht ins Scheinwerferlicht gerückt werden – wir wollen Ihnen ja keine schlechte Absicht unterstellen!

Wenn wir rational über die Konsequenzen eines übersättigten Marktes nachdenken, finden wir also Erklärungen, die den Shift von der FTC bei kleinen und mittleren Herstellern erklären. Es gibt dafür sicher noch einige weitere und potenziell richtige Erklärungen, doch spricht auch ein weiterer Umstand für unsere Vermutung:

Die großen Hersteller haben sich diesem Trend (zumindest bislang) nicht angeschlossen. Was in dem Szenario, das Sie selbst gerade durchlaufen haben, ja durchaus Sinn ergeben würde. Die großen Player haben sich schließlich in aller Regel bereits einen beachtlichen Marktanteil gesichert. Wenn wir den Change also verstehen können, was ist dann das Problem?

Wir finden es trotzdem traurig!

Verstehen ist das eine – Nachvollziehen das andere. Denn während das erste und oberste Interesse eines Unternehmens immer die eigene Existenzsicherung ist, schauen wir etwas neutraler auf die Entwicklung. Aus drei einfachen Gründen ist die Abkehr von der FTC hin zu „Book free demo“ ein Schritt in die falsche Richtung.

  1. Vertraue mir!
    Wie die Schlange Ka im Dschungelbuch verfolgen Sales Manager nun mal bestimmte Erfolgsziele – auch wenn sie nicht ganz so böswillig sind wie Ka. Besonders unerfahrene Softwaresuchende haben keine Möglichkeit mehr, sich unbeeinflusst durch eine Software zu klicken und langsam ein Gefühl für ihre Stärken und Schwächen zu entwickeln. Eigenes Erleben wird möglicherweise durch Marketingsprech ersetzt.
  2. Unnötige Hürden
    Dieser Grund steht unleugbar im Lichte des Eigeninteresses. Agenturen wie wir, die sich mit Software-Ökosystemen beschäftigen, möglichst jede Software auf dem Markt in unterschiedlichen Verbünden ausprobieren und resolut auf Stärken und Schwächen testen möchten, schauen in die Röhre. Sie haben zukünftig keine Möglichkeit mehr, entsprechende Systeme unverbindlich und professionell auf Herz und Nieren zu testen.
  3. Ein Todesurteil?
    Wir sind davon überzeugt, dass potenzielle Kunden sich nicht nur eine Software ansehen, sondern mehrere. Der aufgeblähte Salesprozess kostet die Free-Demo-Hersteller gleichzeitig aber viel mehr Ressourcen. Der Absprung eines Prospects innerhalb oder gar nach diesem aufwendigen Prozess kostet die Hersteller deutlich mehr als eine nicht verlängerte Trialphase. Gleichzeitig wird ein Absprung aber nicht sehr viel unwahrscheinlicher, da die Sales Funnels einiger Konkurrenzprodukte, die sich der Kunde ebenfalls ansehen könnte, ähnlich engmaschig funktionieren. Der Fisch kann eben nur ein Mal gefangen werden. Am Ende verliert also immer jemand – und zwar zunehmend mehr, je aufwendiger der Salesprozess wird.

    Und das Tragische dabei: Die großen Platzhirsche könnten diejenigen sein, die am meisten davon profitieren, dass die Kleinen sich in ausufernden Personalschlachten um Kunden mühen. Einige Kunden werden von einem so verbindlichen Sales-Funnel einfach eingeschüchtert oder abgeschreckt sein und zuerst Software ansehen, die eine Trialphase oder einen kostenlosen Plan anbietet.

Langfristig wird sich diese Sales-Strategie also höchstwahrscheinlich nicht halten können. Und das ist auch gut so. Denn wie bereits erwähnt, wäre dies das Schlimmste, was der Branche aktuell passieren könnte.

Wieso das „Schlimmste“?

Ich habe mich nicht verschrieben und Sie haben auch richtig gelesen. So kritisch wir die aktuelle Entwicklung auch sehen, sind wir der festen Überzeugung: Je mehr Konkurrenz, desto besser für Kunden. Das hält nicht nur die Preise (verhältnismäßig) gering, sondern auch den Innovationsgrad hoch. Haben Kunden viel Auswahl, steigt der Suchaufwand – gleichzeitig aber auch die Chance, eine Software zu finden, die möglichst nah am idealen Tool für die entsprechende Organisation ist. Und natürlich hätten auch wir als Digital Workplace Consultants ohne die Suche nach den perfekten Software-Ökosystemen eine spaßige Aufgabe weniger.

Ein Hoffnungsschimmer zum Abschluss: Der Trend lässt sich möglicherweise umkehren. Im Falle eines Softwareherstellers konnten wir bereits Gutes bewirken. Nach einer sachlichen und vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Sales dieses Herstellers tauchte nach wenigen Wochen wieder dieser herrliche Anblick auf der Homepage auf:

Die Moral von der Geschicht: Wenn auch Sie von der aktuellen Entwicklung genervt sind und keinen Zugang zu Software erhalten, die Sie testen möchten, sprechen Sie die Hersteller darauf an. Manchmal ist Feedback das Einzige, das zwischen Ihnen und der Software Ihrer Wünsche steht.

Autor: Marius Lex, Senior Consultant, drehmoment. www.drehmoment-gmbh.de